#112: 4-Tage-Woche: Von den Pionieren lernen mit Martin Gaedt
Shownotes
Wie hilft die Vier-Tage-Woche in Ihrem Unternehmen gegen krankheitsbedingte Ausfällen? Wie etabliere ich die Vier-Tage-Woche in meinem Handwerkbetrieb? Welche Arbeitszeitmodelle gibt es? Warum kann die Vier-Tage-Woche die Geschlechtergerechtigkeit fördern?
Diese und viele weitere Fragen behandelt Martin Gaedt im ersten der beiden Teile der „Vier-Tage-Woche-Serie“ im Gespräch mit Alexander Petsch, CEO des HRM Instituts. Martin Gaedt ist ein erfahrener Keynotespeaker und Unternehmer. Darüber hinaus ist er auch Autor von „Mythos Fachkräftemangel“, „Rock your ideas!“ und „Rock your work!“. Für sein im März erschienenes Buch „4 Tage Woche“ interviewte er 151 Unternehmen im DACH-Raum und räumt mit dem Mythos auf, dass die Vier-Tage-Woche nur Schreib- und Bürokräfte betreffen kann. Im Handwerk, in der Produktion, der Hotellerie und Gastronomie wurde Gaedts Recherchen zufolge eine Vier-Tage-Woche genauso erfolgreich umgesetzt wie in Agenturen und Rathäusern.
In der heutigen Episode der HRM Hacks führt Martin Gaedt gute Gründe dafür auf, warum Sie der Vier-Tage-Woche in Ihrem Unternehmen eine Chance geben sollten. Außerdem bietet er Ihnen in Form seiner ersten Hacks hilfreiche Ratschläge, um dieses Modell in Ihrem Betrieb zu organisieren. Die wichtigsten Hacks der heutigen Episode wären unter anderem: – Produktivitätssteigerung: Entschlacken sie Ihre Prozesse, steigern Sie Ihre Produktivität! – Sprechen sie mit Ihren MitarbeiterInnen und gestalten Sie die Umstrukturierung gemeinsam! – Definieren Sie Vollzeitarbeit neu!
Viele weitere Hacks als Checkliste oder das gesamte Interview als Podcast oder Text findet Ihr https://www.hrm.de/hrm-hacks.
Kontakt zu unserem heutigen Podcast-Gast Martin Gaedt: https://www.hrm.de/mitglieder/martin-gaedt/
Tape Art Cover Bild by Max Zorn: https://www.maxzorn.com / https://youtu.be/iGqo7e-FN0s
Music by "Monsters of Rec: die HR & Recruiter Branchenband“ https://www.hrm.de/unternehmen/monsters-of-rec/
Podcast Produktion: York Lemb - Employee Podcast https://www.hrm.de/unternehmen/employee-podcast/
Und wenn Ihr mal wieder auf der Suche nach passendem Wein/Sekt für Euren nächsten HR-Event seid, dann wäre doch der: HR² Wein https://wein.hrm.de/
Viel Spaß beim Anhören dieser Podcast-Folge!
Transkript anzeigen
00: 00:21
Alexander Petsch: Glück auf! Und herzlich willkommen zu den heutigen HRM Hacks. Mein Name ist Alexander Petsch. Ich bin der Gründer des HRM Instituts, euer Gastgeber. In unserer heutigen HRM Hacks-Folge spreche ich mit Martin Gaedt über die Vier-Tage Woche - also ein top aktuelles Thema, wie ich finde. Martin Gaedt kennt ihr wahrscheinlich, zumindest wenn ihr diesen Podcast regelmäßig hört. Ich würde mal sagen: Martin ist ein HR-Buch-Trüffelschwein, also jemand, der ein gutes, sehr gutes Gespür für Themen und für Ideen hat, und sonst ein absoluter Kreativ-Wunderkasten ist. Jemand, der eine ganze Reihe von Büchern schon geschrieben hat. Sein bekanntestes ist eigentlich ... oder mit dem er bekannt geworden ist, ist "Mythos Fachkräftemangel". Danach hat er "Rock your ideas!" geschrieben, das Buch "Rock your work" und jetzt ganz neu das Buch zur Vier-Tage- Woche. Herzlich willkommen, Martin Gaedt!
00: 01:21
Martin Gaedt: Danke für die Einladung und die vielen, vielen Vorschusslorbeeren.
00: 01:25
Alexander Petsch: Wir haben ja schon zwei Podcast miteinander gemacht. Ich glaub, "78 Millionen Wege, um 78 Millionen Talente zu finden", war schon ein super inspirierende Podcast - für mich zumindest -, kann ich euch ans Herz legen. Und dann haben wir noch eins zum Thema "Regel brechen im Recruiting" darüber gemacht, wie man mit Regeln brechen im Recruiting erfolgreicher ist. Auch super kreativ, und ich glaube, das waren alles Folgen, wo die Eckzahl zweistellig war, weil du nur so gesprudelt bist vor Ideen. Also, von daher kann ich euch ein bisschen zurück scrollt, sozusagen, dass es auf jeden Fall was, was er, wenn ich die heutige Folge gefallen sollte, nochmal nachlegen könnt. Also, Martin, dein neues Buch, das erste Buch Deutschland, DACH, weltweit... Gibt's in der Welt schon andere Bücher zur Vier-Tage-Woche?
00: 02:18
Martin Gaedt: Ja, es gibt Englischsprachige, aber deutschsprachig ist es tatsächlich das erste. Und als ich das im Oktober entdeckt habe, dass es zu dem Thema noch kein deutschsprachiges Buch gibt und vor allen Dingen eben auch nicht mit mit Beispielen aus dem DACH-Raum, hab ich gesagt, das mache ich jetzt und hab Zahlen zugelegt. Es ist jetzt quasi gerade in der Veröffentlichung. Also, es ist draußen, und ab 14.3. [wurde] es offiziell ausgeliefert. Und das, was mich so fasziniert hat oder was auch mit der Anstoß war, dass ja schon im letzten Jahrviel darüber diskutiert wurde, und dann kommen immer die Kommentare: Ja, aber im Handwerk geht es ja nicht, bei der Produktion geht es ja nicht. Der Mittelstand, ja, das können sich ja nur die Laptop-Typen leisten und so, und es ist halt genau anders rum! Und ich habe dann recherchiert und hab halt Hunderte von Handwerksunternehmen gefunden und dann habe ich gesagt, genau die will ich präsentieren. Ich hatte noch nie eine Widmung im Buch, aber zum ersten habe ich eine Widmung drin, und zwar für die 97,3 Prozent der Unternehmen, die unter 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben.
00: 03:24
Alexander Petsch: Ja, ja, das ist eine ganze Menge. Ja, also ja, ich bin erst mal, wie gesagt, ich finde das Thema spannend. Von daher freue ich mich auf unseren Dialog. Unser Podcast heißt ja heute "Was muss ich beachten, wenn ich sozusagen die Vier-Tage-Woche einführe, und was macht das erfolgreich, sozusagen?"
00: 03:49
Martin Gaedt: Ja, also eins, was ich schon mal vorweg sagen kann, ist, was ich in allen 151 Unternehmen gefunden habe, was sozusagen alle verbindet - bei allen Unterschieden, auf die wir auch noch zu sprechen kommen können, weil die Modelle sind sehr, sehr unterschiedlich im Detail -, aber was alle verbindet, ist, sie haben zuerst mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Bei manchen kam die Idee auch aus der Mitarbeiterschaft und bei anderen, bei den meisten war es so einer von der aus der Leitungsebene oder eben auch der Inhaber/ die Inhaberin, die, die das vorgeschlagen haben -, und dann haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diskutiert. Und das Faszinierende ist, die allermeisten berichten erst mal von Schockstarre, oder auch von Kommentaren der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: "Das können wir nicht machen, wir müssen doch den Kunden den Service liefern!" Also, es war ganz häufig in den Unternehmen so, dass erst mal an die Kunden gedacht wurde, faszinierenderweise, und dann wurde halt darüber gesprochen. Ein Unternehmer hat berichtet, er hat alle Gegenargumente der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgeschrieben, hat überhaupt nicht dagegen geredet - weil er wollte ja deren Meinung hören -, hat dann sich schlau gemacht, recherchiert, hat zu allen Punkten Argumente gesucht oder auch [Lösungsansätze]. Er hat nach drei Monaten erneut die Vier-Tage-Woche vorgestellt und hat gehofft, so ein oder zwei von seinen MitarbeiterInnen würden drauf anspringen - und plötzlich wollten alle 20! Heute macht er mehr Umsatz und mehr Gewinn als davor.
00: 05:14
Alexander Petsch: Ja, vielleicht ... Manche Ideen müssen reifen.
00: 05:18
Martin Gaedt: Ja, ja, ja, und dann haben ganz, ganz viele Unternehmen auch wirklich ganz, also auch explizites als Testphase/ Testballon/ Testversuch/ Experiment, betitelt, bei manchen einen Monat, bei manchen bis zu einem Jahr, um auch zu signalisieren: Ihr, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, entscheidet nach dem Monat oder entscheidet nach dem Jahr, ob wir es danach weiterführen. Das ist eure Entscheidung. Es ist letztendlich ja auch eure Lebenszeit. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer bezeichnen es auch als ein Geschenk: "[...] die Zeit, die wir durch Veränderungen und in den Prozessen gewinnen, schenken wir zurück an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter."
00: 05:55
Alexander Petsch: Also, der Hack Nummer Eins ist, erst mal mit seinen Kolleginnen und Kollegen oder Mitarbeitern sprechen bevor man etwas entscheidet. Wie ist das eigentlich? Ich habe jetzt also, ich bin nicht tief drin in der Vier-Tage-Woche [Gaedt: Deshalb habe ich auch ein Buch dazu geschrieben, weil die meisten sind nicht tief drin!] Heißt das vier Tage bei gleicher Stundenzahl, oder heißt das vier Tage... Also, sind das dann 40 Stunden in vier Tagen, über die wir hier [in deinen 150 Beispielen sprechen] oder sind das dann 32 Stunden auf vier Tage?
00: 06:36
Martin Gaedt: Das war das eigentlich... Das war eines der spannenden Punkte für mich, dass ich festgestellt habe: Im Prinzip hat jedes Unternehmen sein eigenes Modell entwickelt, und das ist das Kapitel "Arbeitszeiten". Also, ich habe 14 Kapitel, und das Kapitel "Arbeitszeiten" ist das längste im Buch, weil es so viele unterschiedliche Modelle gibt und weil ich ja will, dass ein Unternehmen oder auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich das Buch durchlesen, direkt im Anschluss auch entscheiden können: Mache ich es, und wie mache ich es? Gibt es so viele, dann auch konkrete Beispiele dazu, welches Unternehmen das eigentlich [wie genau] macht. Bekannt geworden ist ja das belgische Modell. In Belgien gibt es ja das Gesetz seit gut einem Jahr, dass jeder Beschäftigte das Recht hat, zum Arbeitgeber zu gehen und zu sagen, ich will eine Vier-Tage-Woche, und dort ist es eben genauso, wie du es skizziert hast. Dann werden die 40 Stunden auf vier Tage verteilt. Aber immerhin kann jeder Mitarbeiter hingehen und sagen, ich habe das Recht, das ist ein Gesetz der Vier-Tage-Woche einzuführen, einzufordern in meinem Unternehmen. Das ist in Deutschland anders, und hier habe ich festgestellt, es gibt kaum ein Unternehmen, das dieselbe Arbeitszeit auf die vier Tage verteilt, in aller aller aller Regel. Also, ich würde wirklich sagen, bis zu 99 Prozent aller Beispiele im Buch haben auf 39, 38, 37, 35, 34, 32 bis hin zu 30 Stunden reduziert. Auch das ist in jeder Branche unterschiedlich. Es gibt Agenturen, die haben auf 30 reduziert, wirklich von 40 auf 30 herunter. Es gibt andere, die haben von 43 auf 35 herunter. Es gibt ein Handwerker in Hundeshagen in Thüringen, der hat von 40 auf 32 Stunden reduziert und hat dann - selber natürlich - festgestellt, ich habe letztendlich meine Mitarbeiter und Mitarbeiter eine 25-prozentige Lohnerhöhung geschenkt, weil jetzt kommt der Clue: Alle Beispiele, die ich vorstelle, und für mich ist es auch eine der Grundlagen der Vier-Tage-Woche, die ich vertrete: Der Lohn bleibt gleich. Ja, es gibt zwei Grundsätze für mich, die alle Beispiele im Buch verbinden: drei Tage Freizeit und gleicher Lohn wie vorher. Es gibt ja viele Unternehmen, die bieten, ja, du kannst ja reduzieren, dann hast du halt Teilzeit, aber da hast du auch Teilzeitlohn, und das ist natürlich auch eine Form der Vier-Tage-Woche. Das ist am Ende eine Verhandlungssache und ist aber nicht d i e Vier-Tage-Woche, die ich im Buch präsentiere, denn da gilt: immer und für alle gleicher Lohn für weniger Arbeitszeit an vier Tagen.
00: 09:07
Alexander Petsch: Okay, also, Nummer eins war erst mal sprechen. Dann - habe ich das richtig verstanden? Dass die meisten, die sagen, die es erfolgreich gemacht haben, gesagt haben, wir probieren das erst mal ergebnisoffen aus, und ihr entscheidet danach, oder wir entscheiden danach zusammen, machen wir's weiter [oder nicht]. Also, wir probieren es mal ein paar Wochen aus?
00: 09:27
Martin Gaedt: Das ist exakt, wobei es natürlich auch Unternehmen gibt, wo die Inhaber gesagt haben, wir entscheiden das trotz, wir entscheiden das. Und es gibt andere Unternehmen, die gesagt haben, ihr entscheidet es, aber Experimentierphase gab es fast immer.
00: 09:43
Alexander Petsch: Ich habe jetzt Bekannte in der Schweiz, die gerade dabei sind, die Vier-Tage- Woche einzuführen - bei vollem Lohnausgleich -, aber bei 40 Stunden, und das ging erst mal einher mit einer Phase der Produktivitätssteigerung.
00: 10:04
Martin Gaedt: Ja, das, das beschreiben - im Prinzip - alle. Also, ich habe jetzt natürlich nicht 151 mal ein Zitat zur Produktivitätssteigerung, sondern ich habe natürlich die Beispiele dann zu verschiedenen Themen gematcht. Aber im Prinzip beschreiben das alle, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produktiver werden, dass sie motivierter sind, dass sie vor allen Dingen auch freundlicher sind, dass in Hotels zum Beispiel die Übergaben besser funktionieren. Aber jetzt kommt der eigentliche Clou, der -glaube ich - in der öffentlichen Debatte noch viel zu wenig berücksichtigt wird: Die Krankenrate der Krankentage ... oder der Krankenstand sinkt dramatisch! Also, weil in der Wenzel Group [Maschinenhersteller in Wiesthal, Bayern - Anm. d. Red.] zum Beispiel, die hatten schon nach wenigen Monaten den Krankenstand halbiert. Es gibt Handwerksbetriebe, die haben mir berichtet, dass sie 2022 keinen einzigen Krankentag unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hatten. [...] In der Küche im 25hours-Hotel in Köln. Da hat sich vor allen Dingen unter den Köchinnen und Köchen die Krankenzahl drastisch reduziert. Und jetzt kommt der Clou: In der Öffentlichkeit wird immer diskutiert: "Ja, aber in weniger Zeit produktiver, heißt ja eine Überlastung" - Nein! Die eigentliche Mehrarbeit wird geleistet von den gesunden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sonst krank sind. In Deutschland waren im Dezember 2022 so viele Menschen krank wie die letzten 20 Jahre nicht [vgl. Statista - Anm. d. Red.]. Und deswegen, wenn der Krankenstand reduziert wird, hast du unterm Strich mehr Arbeitszeit, die wirklich gearbeitet wird, selbst wenn die Zeit für alle reduziert wird.
00: 11:39
Alexander Petsch: Ja, war bei uns auch so, aber ich meine, war halt auch corona-getrieben. Also wir hatten halt, wie viele andere Betriebe auch, viele Ausfälle die letzten zwei Jahre.
00: 11:50
Martin Gaedt: Ja, aber es kommt ja diese ganzen, also das sowieso on top. Aber es gibt ja auch die ganzen psychischen Krankheiten, Burnout und so weiter. Das ist alles eigentlich seit dem Island-Experiment, was er vier Jahre lief, gut dokumentiert, dass gerade solche psychischen Krankheiten... Überlastung, Schlafmangel (aus Schlafmangel folgt meistens oder häufig Burnout), dass genau die Dinge drastisch messbar zurückgehen.
00: 12:16
Alexander Petsch: Ja, spannend ... Ich hatte es vorher ein bisschen anders formuliert. Also, mein Beispiel aus der Schweiz und auch andere, die ich kenne, die haben halt die Produktivitätssteigerung vorgeschaltet, sag ich mal. Sie haben gesagt, okay, wir müssen erst mal als Organisation produktiver werden, um dann sozusagen uns die Vier-Tage-Woche erlauben zu können.
00: 12:39
Martin Gaedt: Ja, das ist genau, also da gehe ich auch in einem ganzen Kapitel, das heißt Organisation, also eigentlich zwei Kapitel - eins als Organisation, das andere Spielregeln -, gehe ich ganz, ganz explizit und mit ganz konkreten Beispielen darauf ein, wie die Unternehmen ihre Organisation verändert haben, wie sie die Prozesse entschlackt haben - oder mein Lieblingswort "streichen", was du noch kennen wirst, aus dem anderen Podcast. Das heißt, sie haben wirklich alles, alles angeguckt ... alle Prozesse, alle Abläufe ... und haben wirklich ausgemistet. Und genau diese Produktivitätssteigerungen ... Also, zum Beispiel, Timo Göttler von der Göttler Messtechnik, die sind weltweit in der Top #3 in ihrer Branche und haben die 34-Stunden-Woche, weil sie die Prozesse soweit produktiver geschafft haben, dass die Menschen produktiver sind. Und er sagt, natürlich könnte ich mir das Geld auch selber in die Tasche stecken. Aber das will ich nicht! Ich gebe diesen Produktivitätsgewinn an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück.
00: 13:37
Alexander Petsch: Jetzt habe ich dich mit meinen Fragen so ein bisschen abgelenkt, glaub ich. Aber kommen wir nochmal zurück zu dem Thema. Ja, was sind die Hacks, die man beachten muss, und was ist erfolgskritisch?
00: 13:50
Martin Gaedt: Na ja, ich finde gar nicht, dass wir so weit weg sind, weil genau dieser Punkt, die Vier-Tage-Woche, ist kein Schema, wo ich sage, ich führe die jetzt ein und verändere nichts, sondern die Vier-Tage-Woche funktioniert überall da gut, wo die Prozesse verändert wurden. Also es geht Hand in Hand. Deswegen haben wir gestern auch in einem Gespräch die Vier-Tage-Woche als Innovationsmotor bezeichnet. Die Vier-Tage-Woche alleine funktioniert nicht. Da haben ja viele Mitarbeiter, Mitarbeiter auch zu Recht Angst, wenn jetzt jemand kommt und sagt, wir machen die Vier-Tage-Woche, und ihr müsst es selber mit denselben Tools, mit denselben Prozessen in in weniger Zeit leisten - das wäre überfordernd. Was mich Mega beeindruckt hat, war eine Steuerberatung. Die haben "die stillen Zeiten" eingeführt: [...] Zwischen zehn Uhr und zwölf Uhr, und nochmal zwischen 14 und 15 Uhr jeden Tag - also Montag bis Donnerstag natürlich -, klingelt da kein Telefon. [Die Belegschaft] wird quasi in Ruhe gelassen mit ihrer Arbeit, und die E-Mails ... da wurden die Server so eingestellt, dass die E-Mails nur noch zweimal am Tag zugestellt werden. Und siehe da, die schaffenden 34 Stunden - die Arbeit, die sie vorher geschafft haben -, mit weniger Stress, weil sie viel fokussierter arbeiten können, und das meine ich damit: Wir sind ganz eng am Thema der Hacks, weil genau diese Prozessänderungen, die habe ich halt überall vorgefunden, und die sind essenziell. Ohne die geht's nicht, oder beziehungsweise: Ohne die wird es halt wirklich stressig. Aber der Clou ist halt die Unternehmen, die das ändern wollten, und die Änderungen kamen immer aus Fürsorge um die MitarbeiterInnen. Eine andere Firma hat explizit gesagt, meine Mitarbeiter gehen seit zwei Jahren auf dem Zahnfleisch. Das mussten wir ändern, weil wir [also wir - wir! - ] mussten es, weil wir es wollten. Wir wollten etwas gutes für die MitarbeiterInnen tun, damit die entspannter, stressfreier arbeiten können, und so kamen wir überhaupt auf die Idee zur Vier-Tage-Woche.
00: 15:46
Alexander Petsch: Also, sozusagen weiterer Hack ist erst mal innovativ sein und die Prozesse optimieren, ausmisten, streichen, streichen, streichen und die Produktivität so steigern, dass ich mir erlauben kann, ein paar Stunden weniger zu arbeiten.
00: 16:06
Martin Gaedt: Richtig. [...] Noch zwei Beispiele aus dem Handwerk. Ein Elektro-Meister ... oder eine Elektro-Firma, die haben iPads verteilt an alle Mitarbeiter, beziehungsweise an die Obermeister. Das heißt, auf jeder Baustelle ist jetzt ein iPad der Firma [vorhanden] und auch ein Handy, ein Smartform der Firma. Das bedeutet, die KollegInnen müssen nicht mehr die Privatnummern rausrücken. Das bedeutet, von Freitag bis Sonntag ruft halt wirklich kein Kunde an, weil dann ist das Firmenhandy ausgeschaltet, und mit den iPads wird jetzt auf den Baustellen der Baufortschritt dokumentiert. Und wenn jetzt ein Kunde kommt und sagt: "Oh, ich hätte aber gerne hier noch eine Leitung, und das noch ...", wird es direkt auf der Baustelle fotografiert, mit einer digitalen Unterschrift des Kunden. Früher war das so, man fuhr zurück nach Hause, musste es am Schreibtisch oder am Rechner dokumentieren, dann gab's irgendeine Abstimmungsschwierigkeit, und am Ende sagt der Kunde: Ne, so habe ich auch nicht gemeint. Jetzt machen wir das direkt auf der Baustelle. All das sind so minikleine, - scheinbar! - Bausteine, die aber extrem die Produktivität fördern. Andere Handwerker, Bautrocknunggewerbe, der hat gesagt: Leute, wir müssen ausmisten! Aso was machen wir? Sie haben erst mal, haben die auch alle Werkstattwagen aufgeräumt, haben gesagt, wir räumen jetzt alle Werkstattwagen exakt gleich ein, egal wer mit welchem Wagen rausfährt. Du weißt immer, wo das Werkzeug liegt. Allein das ist schon ein krasser Produktivitätsfortschritt. Wir säubern die Geräte immer direkt nach dem Einsatz. Auch das ist ein krasser Produktivitätsfortschritt. Und das dritte, was ich am abgefahrensten finde: Die haben einfach mal experimentiert! Bautrocknung, nh, früher wurden halt eine bestimmte Anzahl gebohrt, um Räume trockenzulegen, die [...] nass geworden sind. [S]ie haben die Zahl halbiert, [und] haben durch Experimente festgestellt, du hast dasselbe Trocknungsergebnis mit der Hälfte der Bohrlöcher. Das heißt, in einem großen Gebäude, wo sie für früher 64 Löcher bohren mussten, bohren jetzt nur noch 32! [lacht] ... Ist abgefahren, oder? Mich begeistert sowas!
00: 18:13
Alexander Petsch: Und ich glaube, die waren vorher der Meinung, sie w[ü]ssten, was sie tun.
00: 18:17
Martin Gaedt: Richtig! Natürlich. Und alle anderen - das er das Faszinierende! -, Bautrocknungsgewerbe, werden weiterhin behaupten, du brauchst die 64 Löcher in so 'nem Riesengebäude.
00: 18:24
Alexander Petsch: Ja, ich hätte jetzt als Laie gesagt, vielleicht muss du nur tiefer bohren, zwei Löcher auf je ein Loch auf beiden Seiten. [beide lachen]
00: 18:35
Martin Gaedt: Also, das heißt, dieser, das ist wahrscheinlich auch genau das, was du vorhin meintest. Es gibt einen Produktivitätsfortschritt vorher, und es gibt aber auch währenddessen Produktivitätsfortschritt, weil die Leute sind natürlich motiviert, die Leute haben Bock, die Leute wollen [sich] ja ihren freien Tag erarbeiten. Also, es geht auch keiner morgens zur Arbeit und sagt, ich will der Firma schaden. Die haben ja Bock. Und wenn du dem einen Rahmen gibst und letztendlich ja auch dazu aufforderst: Hey, Leute, wie können wir es schaffen, dass ihr nur noch 32 statt 40 Stunden arbeitet? Das ist auch eine Mega Motivation, genau solche Innovationen zu schaffen.
00: 19:12
Alexander Petsch: Gibt's welche, die das schon länger machen, also wo man jetzt sagen kann, wir haben schon eine lange Erfahrung, mit dem du gesprochen hast.
00: 19:22-4
Martin Gaedt: Ja, ja. Also, die haben auch ganz bewusst den ersten Platz im Buch bekommen, weil sie das schon seit sechs Jahren machen, und zwar ist es Marcus Gaßner mit dem Sanitär-, Heizungs- und Fliesenbetrieb, und die machen das schon seit sechs Jahren [Information unbestätigt - Anm. d. Red.]. 2018 fanden sie keine MitarbeiterInnen, und jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Hack: [S]ie fanden keine MitarbeiterInnen und haben dann die Vier-Tage-Woche eingeführt, haben ganz plakativ damit geworben und [...] relativ schnell die Plätze besetzt, und dann haben sie das einfach beibehalten [und] für alle eingeführt. Es gibt auch ganz tolle Interviews mit der Co-Chefin, Ayleen Bauser, die sagt, Leute, wir sind auch Menschen, also wir als Chefin und Chef sind doch auch Menschen. Wir freuen uns inzwischen auch über die Vier-Tage-Woche, und die sind letztes Jahr, also weil sie es kontinuierlich weitergeführt haben, von neun auf 15 Mitarbeiter gewachsen. [...] Das ist ein roter Fahren, der sich durch alle Geschichten durchzieht. Alle Unternehmen haben, ich sage mal, plötzlich, von null Bewerbungen auf 20, 50, 100 bis zu einer 200fache Steigerung, wurde mir berichtet -, der Bewerbungseingänge. [...] Das krasseste Beispiel ging ja auch durch alle Medien: Die Malerin Jessica Hansen, die vor einem Jahr im April 2022 noch vier Gesellen hatte, und schon im Oktober hatte sie 20 Mitarbeiter und 25 auf der Warteliste, weil sie die Vier-Tage-Woche eingeführt [...] und das offen kommuniziert hat, und natürlich noch andere Rahmenbedingungen auch verbessert hat. [Hansen] sagt, sie kann sich vor Bewerbungen gar nicht mehr retten, ist im Moment überall in den Mediengesprächen, und das, das ist halt genau meine Grundhaltung: Schafft eine gesunde Unternehmenskultur, und dazu kann die Vier-Tage-Woche zählen. Muss natürlich nicht, kann aber. Lasst die Leute es wissen: Schafft, dass sie über dich reden, und dann kommen die Bewerbenden, und alle 151 Unternehmen werden dir das bestätigen, dass sie genug Bewerbungen bekommen. Verrückt!
00: 21:25
Alexander Petsch: Toll, ja, also meine Frage zielt ein bisschen in die Richtung: Nutzt sich das ab?
00: 21:33
Martin Gaedt: Also Gaßner, zum Beispiel, die berichten, das nutzt sich nicht ab. Es kann natürlich passieren, ich sag mal, wenn jetzt das flächendeckend eingeführt würde - so wie die Fünf-Tage-Woche irgendwann ja flächendeckend eingeführt wurde -, wenn das flächendeckend eingeführt wird, kann es natürlich sein, dass in 100 Jahren - so lange gibt es die Fünf Tage Woche, also nicht in Deutschland, aber also grundsätzlich -, dass in 100 Jahren die Vier-Tage-Woche dann quasi ein alter Zopf ist.
00: 22:02
Alexander Petsch: Okay, aber dann hast du auch ein anderes Problem. Wenn du als letzter die Fünf-Tage-Woche hast, bist du so oder so alleine, genau.
00: 22:09
Martin Gaedt: Und ich fand es auch sehr, sehr inspirierend, dass mehrere Gesprächspartner gesagt haben, wir wünschen uns, dass alle im Sanitärhandwerk - das war jetzt zum Beispiel Peer Hildmann von der Bad+Heizung Hildmann -, und der sagt, ich wünsche mir, dass bis 2030 alle HandwerkerInnen das umgesetzt haben. Das sind in Deutschland rund 1 Million Betriebe mit 5,4 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich habe ich zu ihm gesagt: “Aber dann ist auch ihr Alleinstellungsmerkmal weg, hat er gesagt”, “Ja, aber aber mir geht es darum, dass das Handwerk wieder attraktiver wird”, und das sind fast identische Worte von der Grit Pauling, 25hours Hotel in Köln, die gesagt hat: "Ich möchte, dass es so viele Hotels wie möglich einführen, weil ich möchte eine Attraktivitätssteigerung für unsere Branche." Das fand ich super spannend, dass diese ganzen Vorreiter sehr, sehr offen über alles reden und auch ganz klar sagen, nein, es muss ein Branchen-Ding werden, um als Branche wieder attraktiver zu werden.
00: 23:10
Alexander Petsch: Gibt es ein Muster im Sinne von "Montag/ Freitag zu" ... oder "Wähl' aus, wann du deine deinen Tag frei haben möchtest"?
00: 23:25
Martin Gaedt: Also, im Prinzip "Wähl' aus". Man kann schon sagen, der Freitag ist schon der dominierende freie Tag. Es gibt aber auch Modelle, die haben zum Beispiel mittwochs frei. Sie werben dann auch offen damit, dass sie sagen, wir haben zwei Wochenenden, nämlich in der Mitte der Woche und am Ende der Woche quasi. Dann gibt es viele Handwerksbetriebe, die haben das folgendermaßen organisiert: Ein montags-Team und ein freitags-Team, das heißt, die eine Hälfte hat montags frei, die andere freitags. Damit haben sie fünf Tage vollen Service, und die Teams wechseln sich einmal im Monat ab, sodass sie im Prinzip 25 mal im Jahr vier Tage frei haben, weil sie dann quasi von Freitag bis Montag frei, und wechseln dann immer.
00: 24:15
Alexander Petsch: Okay, jetzt habe ich verstanden, [...] sozusagen dann vier Tage frei, also sozusagen immer ein ganz langes Wochenende, sag ich mal.
00: 24:21
Martin Gaedt: Genau und das was zum Beispiel auch, also dieser Freizeit, also es gibt zwei Aspekte, die mich besonders beeindruckt haben. Einmal der Erholungswert. Also, es gibt eine Masterarbeit in Wien. Die Baufirma Leithäuser hat mit 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Vier-Tage-Woche eingeführt; ein Jahr begleitet durch mehrere Umfragen und eben diese Masterarbeit. Und da ist es so, dass sie 39 Stunden in vier Tagen arbeiten, und das wurde dann begleitet unter anderem durch diese Masterarbeit, um herauszufinden, wer profitiert eigentlich in dem Unternehmen am meisten von der neuen Zeitverteilung. [...] Festgestellt wurde: Die, die am härtesten arbeiten, also selbst bei 39 Stunden auf vier Tage verteilt - es sind ja knapp zehn Stunden pro Tag! -, die profitieren am meisten von drei Tagen Erholung. Das sind die, die am wenigsten zurückwollen, weil sie sagen, drei Tage Erholung ist viel, viel mehr, als wir früher hatten, durch die zwei Tage bei weniger Arbeit pro Tag. Das heißt, man kann schon sagen, es ist dieser Erholungswert. Viele vergleichen das auch mit Sport. Sie sagen, es ist ein Stück weit wie im Leistungssport. Die Muskeln bauen sich in der Erholungsphase auf, nicht im Training! Und das ist, glaube ich, wirklich auch noch ein Thema für SportwissenschaftlerInnen, wo sich ArbeitsmarktexpertInnen oder ArbeitsrechtlerInnen auch noch viel stärker mit SportwissenschaftlerInnen zusammentun sollten, weil ich glaube, da gibt es nach allem, was ich jetzt gesehen und gehört habe, echt 'ne Korrelation zwischen der längeren Erholungsphase und der höheren Leistungsbereitschaft und auch Leistungsfähigkeit in den vier Tagen gibt. Und das zweite ist der Freizeitwert. Viele sagen ja spöttisch, na ja, dann werden wir ja noch viel mehr zur "coach potato" in den drei Tagen, und das ist faktisch nicht so. Also, auch da gibt es ja im Ausland ... Island, Irland, Spanien, Belgien ... inzwischen Hunderte von Versuchen in Tausenden von Firmen, die alle belegen, die Leute nutzen, die mehr Freizeit (in Klammern natürlich auch mal zum binge washing, aber das hat jeder von uns schon mal gemacht. Das ist jetzt kein Zeichen der Vier-Tage-Woche) ... [aber] dieser eine Tag mehr Freizeit wird durchschnittlich sehr, sehr intensiv für die Familie genutzt, für Hobbies, für Sport, für Ehrenamt, und das ist kein: "Ich rede mir die Welt schön", sondern es ist faktisch, es ist belegt, es ist messbar.
00: 26:50
Alexander Petsch: Ja, weil ich endlich mal Zeit habe, das zu tun, was ich eigentlich gerne tun würde.
00: 26:55
Martin Gaedt: Richtig, exakt, und da sehe ich ehrlich gesagt auch den größten Mehrwert. [...] Deswegen glaube ich auch, dass sich die Vier-Tage-Woche durchsetzen wird, weil Menschen genau diese freie Zeit - "endlich kann ich mal tun, was ich will, endlich kann ich den Sport"... ganz viele berichten, dass sie, dass sie gerade für ihr sportliches Engagement. Der eine hat berichtet vom Basketball, der ist bei der just one in Jena, und die haben 26 freie Tage. Also jeder zweite Freitag ist frei. Auch da merkst du, es gibt unterschiedliche Modelle, und der sagt diesen Freitag (er ist nicht Profi, aber er ist so quasi Profil-Laie, kann man sagen) ... [...] und der sagt, den Freitag nutzt er jetzt immer, um sich alte Spiele anzugucken, um seine Wurftechnik zu verbessern, um wirklich diese freie Zeit zu nutzen, um sein Potenzial zu verbessern, und er geht dann völlig anders in diese samstags-sonntags-Spiele rein, ausgeruhter und besser vorbereitet. Das ist sein Hobby, und der wird nie, nie, nie, nie, nie wieder zurückgehen zu einer Firma, die nicht wenigstens 26 freie Tage anbieten wird. Und das ist, glaube ich, etwas, was sich Arbeitgeberin, Arbeitgeber wirklich klarmachen müssen: Alle, die jetzt diese Vier-Tage-Woche in dieser Form erlebt haben, also ich meine damit jetzt nicht mit Menschen, die eine 45-Stunden- oder 40-Stunden-Woche in vier Tage gequetscht, ohne Prozessverbesserung, und dadurch überfordert wurden, die meine ich jetzt nicht. Sondern alle, die es positiv erlebt haben, die werden niemals wieder in eine Fünf-Tage-Woche zurück. Das müssen sich Arbeitgeber klarmachen: Das Potenzial von Menschen, die eine Fünf-Tage-Woche arbeiten, wird geringer.
00: 28:33
Alexander Petsch: Mhm … Ähm, du hast gerade gesagt, 26 Tage frei, das heißt also 30 Tage Urlaub plus 26.
00: 28:42
Martin Gaedt: Genau, der Urlaub wird auch nie beschnitten. Das ist auch so eine Grundregel. Ja!
00: 28:47
Alexander Petsch: So eine Grundregel? Okay, ähm!
00: 28:50
Martin Gaedt: Ich meine jetzt bei den Unternehmen, die ich vorstelle. [lacht]
00: 28:54
Alexander Petsch: Man könnte ja auch mal versuchen, mit den gesetzlichen Urlaubstagen wieder klarzukommen, wenn man vier Tage arbeitet.
00: 29:01
Martin Gaedt: Du, absolut ja, könnte man. Aber, das ist natürlich schon klar. Die Unternehmen konkurrieren und schaffen natürlich keine Wettbewerbsvorteile ab, die sie einmal hatten. Das macht sich ja auch nicht so gut in der Öffentlichkeitsarbeit. Wir streichen alles andere, dafür führen wir die Vier-Tage.Woche ein, das man macht natürlich auch keiner. Aber das Faszinierende ist, die Unternehmen, mit denen ich gesprochen habe, sind … ich war wirklich ... Also, dieses Schreiben hat so einen Spaß gemacht, weil ich nur über positive Unternehmenskulturen schreiben konnte, die sich alle unterscheiden, selbstverständlich, aber das Verbindende ist: Das sind wirklich als Unternehmerinnen und Unternehmer, Inhaber und Inhaberinnen, die sich sehr stark um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern, die wirklich ein Auge dafür haben, dass es denen gut geht, und daraus die Vier-Tage-Woche ableiten und ein Arbeitsklima schaffen, wo du einfach sagst: "Ja, da will ich gerne arbeiten!"
00: 29:58
Alexander Petsch: Kommen wir noch mal zurück. Auf was muss ich noch achten? Was ist noch ganz wichtig, dass ich das sozusagen als Grundregel verstehe?
00: 30:05
Martin Gaedt: Du, mehr gibt es eigentlich nicht, also es ist wirklich super simpel: Rede mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, probier es einfach aus, biete den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an, das auszuprobieren für einen bestimmten Zeitraum, und danach wird es halt entschieden. Such dir ein Modell aus - machen wir montags frei, machen wir freitags frei, mittwochs frei, donnerstags frei -, und: Kommuniziere es auch den Kunden! Das ist nämlich der nächste Punkt. Es wird oft vermutet in öffentlichen Debatten: "Ja, aber die Kunden, die erwarten ja die Dienstleistung am Freitag oder am Mittwoch oder am Montag." Und siehe da - Nö! Also, es gibt zum Beispiel die Buchhandlung "Heyn" Klagenfurt, da haben 150 Kunden eine Email an den Inhaber geschrieben an dem Tag, als er das verkündet hat, und habe ihm gratuliert zu der Entscheidung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Tag zu entlasten... Ist abgefahren, oder? [Mittlerweile schuf der Buchbetrieb die Vier-Tage-Woche jedoch wieder ab. - Anm. d. Red.]
00: 31:05
Alexander Petsch: Montags zu, oder?
00: 31:08
Martin Gaedt: Genau. Es gibt immer mehr Friseure, die arbeiten von dienstags bis freitags. Die öffnen samstags nicht mehr, und zwar aus mehreren Gründen. Sie haben festgestellt, die Kunden wollen gar nicht mehr am Samstag kommen. Die Kunden wollen den Samstag lieber ausschlafen oder Hobbys nachgehen, und die sagen, dieser Samstag beim Friseur ist wirklich so ein alter Zopf, den sie abschneiden. Sie bieten dafür dann zum Beispiel donnerstags drei Stunden länger an, sparen trotzdem drei Stunden Arbeitszeit. Friseure der Artwork Hairdresser aus Augsburg sagen, sie haben das natürlich den Kunden kommuniziert. Sie haben auch die Preise etwas gesteigert, um den MitarbeiterInnen höhere Löhne zahlen zu können. Die Kunden haben alle applaudiert, es war überhaupt kein Problem. Ja, also, das heißt, weiterer Hack: Kommuniziert offen den Kunden, und wenn du jetzt zum Beispiel auf Baustellen bist, musst es natürlich auch den Bauherren oder auch den anderen Gewerken kommunizieren. Aber auch das haben alle gesagt. Wir haben uns - aflexio, zum Beispiel - sie haben gesagt, sie haben sich wochenlang den Kopf zermartert, haben ein FAQ geschrieben, was sie den Kunden auf mögliche kritische Fragen antworten werden. Dann haben sie den Kunden verkündet, dass sie nur noch von montags bis donnerstags erreichbar sind. Natürlich, für Notfälle gibt es eine Hotline, aber ansonsten ... Und kein Kunde hat auch nur irgendeine kritische Frage gestellt, eher im Gegenteil. Das ist eine Beratung, sie machen Supply-Chain-Beratung, und [...] im Gegenteil, die Kunden haben gesagt, krass, ihr seid schon wieder Vorreiter, krass, ihr seid schon wieder innovativ! Sie haben damit eher ihre Innovationskraft untermauert und den Kunden bewiesen: Ja, auch intern sind wir innovativ! Sie haben eher ihren Ruf positiv gefördert bei den Kunden als irgendeine Kritik ausgelöst.
00: 33:02
Alexander Petsch: Du siehst, ich bin sprachlos.
00: 33:07
Martin Gaedt: Genauso sprachlos war ich nach den ganzen Gesprächen, weil ... in der Tiefe hätte ich das alles gar nicht erwartet. Ich habe mich auf dieses Thema gestürzt, weil ich dachte, wow krass! Also, ich bin wirklich über Instagram ... Ich habe einfach mal den Hashtag Vier-Tage-Woche eingegeben, und hab plötzlich gemerkt: Krass! Es sind ja tausende von Handwerksbetrieben, die es schon machen. Ich habe dann einfach 500 angeschrieben [...] und die 150, die geantwortet haben, mit denen habe ich dann Interviews geführt, also natürlich nicht mit allen. Ich habe manche schriftlich, manche mündlich und so, und manche habe ich einfach nur aus der Presse zitiert. Aber ich habe mit ganz, ganz vielen halt persönlich gesprochen und erst im Verlauf der Gespräche überhaupt verstanden, wie tief die Prozessveränderungen sind, wie sich die Kundenbeziehung dadurch ändert oder wie sich die Beziehung zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ändert, wie die BewerberInnenschlange eben wirklich lang werden. Also, wie ist sozusagen auch - zurück wieder auf mein altes Thema Mythos Fachkräftemangel -, einzahlt. Also, dass diese ganzen Zusammenhänge habe ich wirklich oder auch der Holung wert, insbesondere bei körperlich schweren Tätigkeiten. Das habe ich alles erst natürlich im Verlauf der Recherche selbst gemerkt und habe jeden Abend dagesessen und gedacht, brauchen wieder wieder eine neue Erkenntnis. Ich bin denen auch mega dankbar. Also ich bin auch gerade am Verschicken. Ich verschicke gerade das Buch an alle 151 Unternehmen, weil ich den Mega dankbar bin, weil sie mir das sehr überhaupt ermöglicht haben, diesen Erkenntnisgewinn, den ich letztendlich mit dem Buch auch weitergeben will. Weil das merke ich halt in den öffentlichen Debatten, [...] viele debattieren auf einem Niveau, wo man einfach nur sagen kann: Sorry, du hast keine Ahnung, also du redest über etwas, von dem du keine Ahnung hast. Und auch wenn sich politisch Verantwortliche hinstellen... oder auch IndustrieverbandssprecherInnen oder der Industrieverbandsvorsitzende ... und dann sagen, wir müssen die 42-Stunden-Woche einführen, um unterm Strich mehr Arbeitszeit zu haben, sage ich: Nein, sorry, das ist genau der Weg, um noch mehr Leute in die Krankheit zu führen. Schafft Modelle, die Menschen ernsthaft entlasten, dann haben wir mehr Arbeitszeit. Der nächste Punkt ist, auch ganz klar: Geschlechtergerechtigkeit. Zum Beispiel nach diesem Modell von dieser Bautrocknung-Firmen in Eichsfeld, wenn man die 32 Stunden Woche als Volleit arbeitet - was sie ja faktisch machen, also die sagen ja, ganz viele sagen ja, die 30 Stunden sind bei uns Vollzeit, 32 Stunden Vollzeit, 34 Stunden Vollzeit. Wenn man sagen würde, das ist die Vollzeit, dann könnten auch viel mehr Frauen, insbesondere Frauen, die heute Teilzeit arbeiten, was ja bis zu über 60 Prozent sind, wenn die quasi von der alten quasi Teilzeit auf eine moderne Vollzeit mit 32 Stunden hochgehen würden, was viele ja wollen ... Sie wollen nicht auf 40, oder könnte nicht auch 40, aber auf 32 könnten sie, und das wäre die Vollzeit, hätten wir sowohl für die - jetzt mal einfach ganz pauschal, weil es ja leider im Markt so ist - für die Männer eine Entlastung. Sie hätten mehr Zeit für Arbeit und für die Familie. Und Frauen könnten mehr arbeiten, wenn sie mehr arbeiten wollen, und hätten aber eine Vollzeitstelle und nicht diese ewige Teilzeit, was ich wirklich auch eine Deformierung finde. Teilzeit ist eigentlich der Krüppel von Vollzeit, und ich bin dafür zu sagen, wir machen eine klare Vollzeit, die ihnen bei 30 Stunden liegt oder bei 32 und wer mehr arbeiten will, macht Vollzeit+. Also, genau umgedreht, wir reduzieren. Wir sagen nicht, oh, wir schneiden was von Vollzeit ab, sondern nein, wir definieren eine neue Vollzeit, und wer mehr arbeiten will, selbstverständlich gerne, kriegt Vollzeit+.
00: 36:41
Alexander Petsch: Vollzeit plus, das hab ich noch nie gehört. Also, im Prinzip heißt das, wenn ich das jetzt noch mal übersetze, oder wir führen jetzt die 34 Stunden Woche Vollzeit ein, und dann habe ich - keine Ahnung - zwei Kollegen. Die Kollegen, die sagen: "Ganz im Ernst, dieser neumodische Kram ist mir zu ... ich möchte meine 40 Stunden weiterarbeiten", und dann sagst du: "Okay, jetzt erhöhen wir dein Gehalt nochmal um 20 Prozent, weil du hast jetzt Vollzeit+."
00: 37:16
Martin Gaedt: Genau, und das haben Firmen auch gemacht. Also, das ist halt das Faszinierende, diese ganzen Firmen, ganz, ganz viele von den Firmen, die ich vorstelle, die sagen ja eben nicht, ihr müsst jetzt alle Vollzeit machen, oder das ist in fast allen Unternehmen freiwillig, also abgesehen mal davon, dass sie ja eh drüber abgestimmt haben. Aber es ist zusätzlich freiwillig. Es gibt sogar eine Firma, die sagt, ihr könnt jeden Monat wählen zwischen vier Tagen und fünf Tagen. Es gibt andere Firmen, die sagen 50/50, die einen arbeiten bei uns vier Tage, die anderen arbeiten fünf Tage. Es gibt eine Firma, [da wurde gesagt]: "Ich will keine, ich will gar nicht weniger arbeiten fürs gleiche Gehalt. Ich will mehr verdienen!" Dann haben die gesagt: "Okay, die Mehrheit will weniger arbeiten beim gleichen Gehalt. Aber es gibt einige, die wollen mehr, also können die bis zu 20 Prozent mehr arbeiten und kriegen das auch ausgezahlt", und das funktioniert. Also, das muss man eben auch sagen. Die ganzen Unternehmen, die ich jetzt gesprochen habe, haben mindestens denselben Umsatz wie das Jahr davor. Viele haben den Umsatz um bis zu 20 Prozent gesteigert.
00: 38:19-3
Alexander Petsch: Hm, spannend... Sehr spannendes Thema, Martin! Ich hab ja anfangs gesagt, du bist das HR-Trüffelschwein, und ich glaube, wir brauchen dein Buch gar nicht individuelle Kamera halten und sagen: Kaufen! Ich glaube, die, die das hören, werden sagen: Okay, das interessiert mich mehr, da möchte ich mehr erfahren. Zum Schluss: Hast du noch einen erfolgskritischen Punkt, wo du sagst, daran sollte er denken, das macht’s noch erfolgreicher?
00: 38:46
Martin Gaedt: Einfach machen! Also, das ist im Prinzip auch das Fazit von dem Buch: einfach machen. Und ich zitiere einen Malermeister, der sagt: Die Vier-Tage-Woche ist sexy.
00: 38:57
Alexander Petsch: Sexy, ja, großartig, lieber Martin! Toll, dass du da warst, ja!
00: 39:04
Martin Gaedt: Danke für die Einladung. War jetzt der erste Podcast zu dem Thema. Du warst der erste.
00: 39:09
Alexander Petsch: Super also, dann hoffe ich, dass wir auch in der Bearbeitung hurtig hinten drankommen. Also ja noch mal: Herzlichen dank, dass du da warst, und wenn ihr die Hacks von Martin Gaedt noch mal nachlesen wollt, einfach auf HRM.de gehen und Vier-Tage-Woche eingeben, und dann werdet ihr erfolgreich sein und es finden. Also Glück auf, bleibt gesund und denkt dran: Der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für euer Unternehmen!
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